Besondere Beziehungen Israelis, Palästinenser: Was haben wir (noch) damit zu tun

Nachlese zu einer Nahost-Tagung in Berlin-Spandau, die von der GHI  mitveranstaltet wurde

Von Jutta Roitsch-Wittkowsky

Der Ausgangspunkt: Der Beschluss der Bundesregierung und der Mehrheit im Deutschen Bundestag im Sommer 2006, erstmals die Bundeswehr im Nahen Osten einzusetzen (die Marine vor der libanesischen Küste), um Waffenlieferungen an die Hisbollah zu unterbinden, hat in der deutschen Friedens- und Bürgerrechtsbewegung kaum eine Reaktion ausgelöst. Die Presseerklärung der GHI, in der der Militäreinsatz abgelehnt und vorrangig eine politische Lösung des Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten sowie den Palästinensern eingefordert wurde, fand in der öffentlichen und veröffentlichen Meinung keine Beachtung. Die Vernichtung des europäischen Judentums durch den deutschen Nationalsozialismus und die daraus seit der Ära Konrad Adenauers abgeleiteten besonderen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Israel nahmen die Friedens- und Konfliktforscher in ihrem so genannten Manifest der 25 wieder auf, das die Frankfurter Rundschau Ende November dokumentierte. Sie mahnten an, die besonderen Beziehungen auch auf die Palästinenser auszuweiten, schließlich wäre es ohne die deutsche Vernichtungspolitik nicht zur Gründung des Staates Israel und zur Vertreibung der Palästinenser gekommen.
Die erhoffte breite öffentliche Debatte über die deutsche Verantwortung für den Frieden im Nahen Osten blieb jedoch aus. Auch eine der Kernfragen des Manifests wurde nirgends öffentlich aufgegriffen: wie halten es die Deutschen mit dem jüdischen Staat und welche Perspektive sehen  sie für einen Staat der Palästinenser? Die von der FR angestoßenen Pro- und Contra-Beiträge wurden in den deutschen Medien praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Die maßlosen Attacken auf die Autoren des Manifests und die Antisemitismus-Vorwürfe erfolgten vor allem (meist anonym)  im Internet  (siehe auch die Dokumentation, die Reiner Steinweg zusammen gestellt hat und die auf der Homepage der Evangelischen Akademie Iserlohn abrufbar ist: www.kircheundgesellschaft.de/akademie ).  In Kooperation mit der Evangelischen Akademie Iserlohn sollte nun eine gemeinsame Konferenz Konsens und Strittiges ausloten und nach Lösungswegen suchen, für die Politik, aber auch für die deutsche Zivilgesellschaft, in der immer noch viele Gruppen und Grüppchen, Organisationen und Initiativen „besondere Beziehungen“ zu Israelis wie zu Palästinensern pflegen. Diskutiert werden sollte aber auch die harsche Kritik, die inoffizielle Ablehnung und Ausgrenzung der Autoren des Manifests. Die Tagung war ein Angebot, Kommunikation unter Wissenschaftlern und Gruppen der Zivilgesellschaft, die sich mit dem Nahost-Konflikt beschäftigen,  herzustellen und andererseits dem öffentlichen Beschweigen auf die Spur zu kommen.

Die Tagung: Die eigentlich erwartete Kontroverse zwischen den Autoren sowie der Gruppe der Friedens- und Konfliktforscher, die das Manifest unterschrieben haben, und den Kritikern fand nicht statt. Die Öffentlichkeit, die Medien eingeschlossen, nahmen das Angebot einer direkten Kommunikation nicht an. Nicht einmal die FR, die die Debatte immerhin angestoßen und weitergetrieben hatte (ohne sie je selbst zu kommentieren), schickte einen Redakteur, eine Redakteurin zur Berichterstattung.
Es verstärkt  sich der Eindruck, dass die Medien heute den breiten kritischen Diskurs nicht mehr befördern. Es ist nicht die Frage, ob Israel kritisiert werden darf, sondern ob die Medien noch Plattformen für eine intellektuelle Auseiandersetzung bieten und über so viel redaktionellen Sachverstand verfügen, den Diskurs für die Leser/Leserinnen einordnen zu können. Die Tendenz scheint zu sein, Unbequemes, Unliebsames, Querdenkerisches durch Schweigen, Diffamieren oder Lächerlich machen zu übergehen.
Aber auch die etablierten Institutionen, von der Friedensforschung über die Antisemitismusforschung bis hin zur Politikforschung und – beratung tragen ihren Teil zu dieser Entwicklung bei, indem sie den Dialog verweigern. Damit werden kritische Debatten verhindert, Minderheitspositionen insgesamt an den Rand gedrängt und für den öffentlichen Diskurs in Deutschland für bedeutungslos erklärt. In der Zivilgesellschaft setzt sich dieser Trend fort, indem die Friedensbewegung und die Initiativen, die sich mit dem Thema Nahost vor allem in praktischen Projekten und Kooperationen vor Ort beschäftigen, seit Jahrzehnten sehr vereinzelt, unvernetzt und teilweise in scharfer Abgrenzung untereinander arbeiten. Die Motive für diese Arbeit gehen zwischen den jüdischen, den christlich geprägten Gruppen und den betont demokratisch-säkularen Organisationen weit auseinander.
Diese Spannungsfelder wurden auch auf der Berliner Tagung abgesteckt.
Die Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland, ein „Kind“ der sozialliberalen Ära der 1970er Jahre, versteht sich immer noch primär als ein Instrument der Politikberatung. Sie bietet Expertisen für Ministerien oder Institutionen, bemüht sich um Einflussnahme auf politische Entscheidungen. Sie ist auf der finanziellen Seite weitgehend unabgesichert und daher auf Drittmittel angewiesen. Damit läuft sie Gefahr, um der politischen Anerkennung und Akzeptanz willen Ausgrenzung in der eigenen Zunft mit zu betreiben. Man verständigt sich stillschweigend darüber, wer dazu gehört und wer nicht. Und verweigert oder entzieht sich dem Dialog: Ausreden gibt es genügend.
Doch auch die politische Ebene entzieht sich: die Vorträge von Margret Johannsen (Hamburg) und Otfried Nassauer (Berlin) waren ein eindringlicher Beleg dafür, dass die Politik in Deutschland der Beratung durch Friedens- und Konfliktforschung ausweicht. Die besonderen Beziehungen zu Israel bewegen sich seit einem halben Jahrhundert  in einer Logik, die für die Friedensforschung kaum, für die Friedensbewegung und Bürger- wie Menschenrechtsgruppen gar nicht erreichbar ist. Die Schiffe der Bundesmarine vor der libanesischen Küste sind nur ein erster  sichtbarer Beweis für eine militärische Kooperation zwischen Deutschland und Israel, die tiefer geht und länger dauert als die diplomatischen Beziehungen. Zugespitzt: die besonderen Beziehungen bestehen seit Jahrzehnten (1955) in einer besonders engen und vertraulich-geheimen Rüstungsbeziehung und der Erwartung Israels, dass Deutschland in der EU als Marktöffner für Rüstungs- und Militärtechnik fungiert, schließlich ist Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner für Israel. Diese enge ökonomische und militärische Zusammenarbeit und die Folgen für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts tauchen in den Stellungnahmen und Engagements der deutschen Zivilgesellschaft bisher kaum auf.
Angesichts dieser Bilanzen der rund fünfzig jährigen „besonderen Beziehungen“ zwischen Deutschland und Israel wirken Nahost-Erklärungen wie die der GHI zum militärischen Tabubruch und zur Verurteilung des direkten militärischen Eingreifens zu Gunsten von Israel im besten Fall naiv, im schlimmsten Fall einfach ahnungslos und somit bedeutungslos. Daher stellt sich die Frage, wie die Gruppen und Initiativen der Zivilgesellschaft besser den Wissensfundus der Friedens- und Konfliktforschung nutzen können, um diesen „Fallen“ zu entgehen und Vorschlägen nach einer alternativen, aus den betroffenen, beteiligten, interessierten Gesellschaften heraus organisierten Sicherheitskonferenz für den Mittleren und Nahen Osten (Mohssen Massarrat) überhaupt folgen zu können. Das bedeutet aber auch, dass sich die institutionalisierte Friedensforschung Angebote überlegen müsste, wie sie ihr Wissen in die atomisierte Zivilgesellschaft hineintragen könnte.
Der zweite Trend in Nahost, der vor allem von Werner Ruf und Udo Steinbach, aber auch von Inge Günther beschrieben wurde, ist ein wachsender aggressiver Fundamentalismus und ein dramatischer Verlust an demokratischen Werten. Dieser Trend hat wiederum unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland und Europa: deren Gesellschaften werden sich in den nächsten Jahrzehnten durch die Zuwanderung und Bevölkerungswachstum dramatisch verändern. Wenn der Anteil der muslimischen Bevölkerung in Europa auf 20 bis 40 Prozent wächst, wenn in Großregionen wie dem Ruhrgebiet 40 Prozent der Bevölkerung einen so genannten Migrationshintergrund hat, dann  haben Mauerbau und Selbstmordattentate, Raketenangriffe und Gegenschläge, kurz: Spannungen, Kriege und aggressive Fundamentalismen im Nahen Osten ihre Rückwirkungen in Europa. Wie weit säkulare Gesellschaften mit demokratischen Verfassungen gegen diese Fundamentalismen gewappnet sind, wären Fragen an Deutschland wie an die EU. Gegenwärtig zeichnet sich ab, dass die Politik in Deutschland (aber auch in Frankreich) auf diese Entwicklungen mit dem Abbau von Grundrechten, verschärften Sicherheitsgesetzen  und der Erzeugung eines permanenten Bedrohungszustandes reagiert.

Erste Erkenntnisse: Mehr kritische Aufklärung tut Not, aber auch mehr Toleranz und größere Bereitschaft, mit allen am Konflikt Beteiligten zu reden vor Ort (von der Hamas bis zu den radikalen Siedlern) und hier zu Lande. Ferner gilt es in Israel und unter den Palästinensern alle verfügbaren Verbindungen und Kontakte zu nutzen, um die Isolationen, die Ängste und den Verlust des Außenbezugs (sowohl in Israel als auch vor allem durch den Mauerbau in der Westbank und dem Gazastreifen) zu durchbrechen. Die Entwicklungspolitik und alle, noch so kleinen Projekte, die sich im Nahen Osten noch halten können, wären zu unterstützen, auch wenn ohne eine politische Perspektive in der Territorialfrage keine Befriedung möglich ist. Die Staatlichkeit ist die entscheidende Frage. Wird sie nicht gelöst, scheitern Dialoge wie entwicklungspolitische Projekte.
Für eine Bürgerrechtsorganisation wie die Gustav Heinemann-Initiative sind aber auch die Rückwirkungen des Nahost-Konflikts auf Deutschland (und die EU) bedeutsam. Um sich für diese Fragen, die tief in die deutsche Innenpolitik und das gesellschaftliche Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen hineinreichen, Gehör zu verschaffen, wäre eine stärkere Kooperation der Gruppen, die an nahöstlichen Friedenslösungen (wie die „Genfer Initiative“ oder Massarrats Vorschlag) oder in Israel und den palästinensischen Gebieten arbeiten, nötig, zumindest eine stärkere Vernetzung. Offen ist, ob diese Gruppen einen Beitrag leisten könnten zu den demokratierelevanten Fragen: Wie kann der Öffentlichkeit der Zusammenhang zwischen einer dringlichen Lösung im Nahen Osten und der derzeitigen  Sicherheitspolitik, die an die bürgerrechtliche Substanz geht, klar gemacht werden?

Die Zeit, das machte eindringlich Udo Steinbach klar, rennt davon: dem jüdischen Staat wie den Palästinensern.