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Tabus deutscher Nahostpolitik aufbrechen Eine Tagung der Evangelischen Akademie Iserlohn in Berlin

Aus: e1ns. Entwicklungspolitik. Information Nord-Süd, Ausgabe 8-9 2007 Mai

Von Karin Kneissl

Was sich seit November 2006 im Internet als heftige Debatte zwischen Befürwortern und Kritikern einer Neupositionierung der deutschen Nahostpolitik abspielte, wurde im Evangelischen Johannesstift in Berlin-Spandau Ende April 2007 umfassend von Angesicht zu Angesicht diskutiert. Ausgangspunkt ist das „Manifest der 25“, das unter dem Titel „Freundschaft und Kritik. Warum die besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel überdacht werden müssen“ am 15. November 2006 in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht worden war. Friedensforscher Reiner Steinweg, einer der 25 Unterzeichner, legte die Sammlung von Reaktionen auf das Manifest in einem Kompendium von 230 Seiten bei dieser Tagung vor.

Im Zentrum der Vorträge und der Diskussionen von der Evangelischen Akademie Iserlohn standen der Inhalt und die Folgen des Manifests. Es ging um die Frage, welche „besondere“ Freundschaft zwischen Israel und Deutschland besteht, welche Folgen dies für die deutsche Nahostpolitik, die deutsch-israelische Militärkooperation und auch für die deutsche Verantwortung gegenüber Palästina hat. Geprägt vom Holocaust, der deutschen Verantwortung gegenüber den Überlebenden des Genozids am jüdischen Volk, hat sich die deutsche Nahostpolitik in den letzten 60 Jahren entwickelt. Dass Kritik an israelischer Politik möglich sein muss, ohne deswegen des Antisemitismus bezichtigt zu werden, wurde in Fortführung der Debatte, welche die Veröffentlichung des Manifests losgetreten hatte, von verschiedenen Seiten her beleuchtet. Otfried Nassauer erläuterte in einer Arbeitsgruppe die Grundlagen der deutsch-israelischen Rüstungskooperation, die älter als die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten ist. Deutschland nimmt zudem traditionell in der EU die Rolle des Anwalts israelischer Produkte, nicht nur militärischer, ein.

Ziel war zu untersuchen, was Deutschland zum Frieden zwischen Israelis und Palästinensern beitragen kann. Interessant waren unter anderem die Aussagen einiger Referenten, die von der starken Diskrepanz zwischen deutscher Nahostpolitik und der öffentlichen Meinung in Deutschland sprachen. Demnach sieht die einfache Bevölkerung auf Grund allgemeinen Gerechtigkeitsempfindens vieles klarer, als dies für die Regierung unabhängig von ihrer Zusammensetzung gilt. Gerade um einem Anwachsen des Antisemitismus Einhalt zu gebieten, gehe es daher darum, so der Leiter des Deutschen Orientinstituts, Udo Steinbach, „eine Wende in der Nahostpolitik zu schaffen, da der nächste Nahostkrieg bereits vorprogrammiert ist.“

Werner Ruf, emeritierter Professor der Universität Kassel, forderte mehr Glaubwürdigkeit des Westens ein: „Die EU verspielt mit ihrer aktuellen Linie, insbesondere gegenüber der gewählten palästinensischen Hamas-Regierung, Handlungsspielraum und Glaubwürdigkeit. Sie verstärkt damit in der Region den Eindruck, dass sich politische Ziele nur mit Gewalt durchsetzen lassen.“ Steinbach fordert daher, dass sich Deutschland wieder mehr Manövrierbarkeit verschaffen sollte, indem auch die „andere Seite auf den Bildschirm kommt“. Das offene Gesprächsklima, welches das Aufbrechen etablierter Tabus in der deutschen Nahostpolitik ermöglichte, wurde von allen Teilnehmern begrüßt.