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Manifest der 25 Meldungen

Kurzbericht über das Beratungsprogramm der Friedrich Ebert Stiftung/FES in Tel Aviv zum „Manifest der 25 – Freundschaft und Kritik“ und die öffentliche Veranstaltung im Center for Strategic Dialogue, Netanya College, Israel

Reiner Steinweg

Anlass der Konferenz im Strategic Dialogue Center am Netanya College war ein Briefwechsel zwischen dem ehemaligen Vizepräsidenten der Knesset, Dov Ben-Meir, und den Autoren des „Manifests der 25“ über die darin dargestellten Positionen. Der schriftlich begonnene Dialog sollte mündlich weitergeführt und vertieft werden. Von deutscher Seite aus nahmen daran außer Prof. Gert Krell und dem Vf. die Professoren Jörg Becker/Solingen und Georg Meggle/Leipzig teil.
Dank einer außerordentlich geschickten Regie seitens der FES entwickelte sich das Beratungsprogramm vor und nach der öffentlichen Veranstaltung in Netanya zu einer „gestreckten Konferenz“, in der in zahlreichen Gesprächen mit Einzelnen und Gruppen viele Aspekte des israelischen Lebens und des Nahostkonflikts wesentlich intensiver erörtert werden konnten als dies im Rahmen eines üblichen Konferenzverlaufs möglich gewesen wäre. So konnten die deutschen Teilnehmer subtile Einblicke in die Sichtweise und Argumentation ganz unterschiedlich positionierter, alter und junger Israelis und auch Palästinenser erhalten und ihre eigenen Auffassungen und „Fernwahrnehmungen“ daran messen und überprüfen.

Dabei stellte sich heraus, dass Thesen, die aus Sicht der Manifestautoren simpler Logik entsprungen waren (wenn Feld A Einfluss auf Feld B nimmt und B daraufhin Feld C verändert, ist A mittelbar auch für die Veränderung von C verantwortlich) in Israel eine völlig andere Wertigkeit haben und diese Logik nicht nachvollziehbar ist.
Die Gespräche machten das tiefe Leiden am gegenwärtigen Zustand nach 40 Jahren Besatzung, zwei Intifadas und fortgesetztem Kampfhandlungen sichtbar – tiefe Resignation und Enttäuschung auf palästinensischer Seite über so viele vergebliche Anläufe zu einer Konfliktlösung, Enttäuschung bis hin zur stoisch ertragenen Hoffnungslosigkeit auch auf israelischer Seite vor allem über den Beschuss aus dem Gazastreifen nach dem Abzug der israelischen Siedler und ein Lebensgefühl permanenter Angst bei gleichzeitig eindrucksvoll pulsierender Lebendigkeit und Vertrauen in die eigene Kraft, aber auch positive Auswirkungen z.B. von Austausch- und Besuchsprogrammen, etwa der Johannes Rau-Stiftung.

Im Gespräch mit dem früheren Botschafter in Deutschland, Avi Primor, das aus Sicht der deutschen Teilnehmer den Höhepunkt der Unterredungen darstellte, wurde deutlich, wo der Schlüssel für die Lösung des Nahostkonflikts liegt: in der Herstellung von Sicherheit und Erwartungsverlässlichkeit für die israelische Bevölkerung, sodass eine – weitaus bedrohlichere – Beschießung Israels vom Westjordanland aus nach Beendigung der Besatzung ausgeschlossen werden kann. Unter dieser Bedingung ist die große Mehrheit der Bewohner offensichtlich auch zu weitgehenden Konzessionen bereit, die dann auch von einem großen Teil der Siedler im Großen und Ganzen akzeptiert werden würden. Beide Seiten sehen die Lösung in einer internationalen Friedenstruppe im Westjordanland und im Gazastreifen, z.B. unter Beteiligung der Türkei und anderer islamischer Länder. Die Frage, ob die Hamas in der Lage sei, nach einer derartigen Vereinbarung, für die sie natürlich erst einmal gewonnen werden müsste, den Terror kleiner Gruppen zu unterbinden, wurde eindeutig bejaht.

Bei der öffentlichen Veranstaltung in Netanya überraschte, dass weder vom Podium noch vom Publikum noch von der Presse wahrgenommen wurde, dass die deutschen Konferenzteilnehmer die These des Manifests, der Holocaust sei der entscheidende Verursachungsfaktor des Nahostkonflikts gewesen, aufgrund weiterer Nachforschungen schon zu Beginn der Veranstaltung ausdrücklich revidiert hatten. Es scheint diese These gewesen zu sein, mit der die israelische Gesellschaft das größte Problem hatte.
Dies und die vielen persönlichen Gespräche und Begegnungen – übrigens auch und nicht zuletzt bei den hervorragend geführten Museumsbesuchen in Yad Vashem und im Diasporamuseum sowie bei den Stadtrundgängen in Tel Aviv/Jaffa und Jerusalem – haben erheblich zu einer differenzierteren Sicht der deutschen Teilnehmer auf den Nahostkonflikt beigetragen. Der Wunsch von Dov Ben-Meir, eine ähnliche Konferenz auch in Deutschland zu organisieren, stieß auf starke Zustimmung.